Home--News
Boykottwelle in den USA: Studenten Meutern Gegen "Killer-Coke"
Von Kirsten Grieshaber
Spiegel Online
January 6, 2006
Die Revolte kehrt zurück auf den US-Campus. Im Visier haben
Studenten ein uramerikanisches Symbol: Brausegigant Coca-Cola. Schon
zehn Unis legten Millionenverträge auf Eis. Die Vorwürfe wiegen schwer
- Umweltschäden in Indien, Ausbeutung in Kolumbien bis zur Verstrickung
in Morde.
New York - Als die 54.000 Studenten der University of Michigan diese
Woche vom Weihnachtsurlaub an ihre Uni zurückkamen, fanden sie die
Cola-Automaten leer vor. Seit Beginn des Jahres verbietet die Hochschule
den Verkauf sämtlicher Coca-Cola-Getränke auf dem Campus. Sie wirft
dem internationalen Getränkekonzern Menschenrechtsverletzungen in
Kolumbien und Umweltverschmutzungen in Indien vor.
Damit ist sie nicht allein: Die University of Michigan ist bereits
die zehnte US-Uni, die sich dem Druck von Studentengruppen und Aktivisten
gebeugt und millionenschwere Verträge mit Coca-Cola auf Eis gelegt
hat. Bereits vor zwei Wochen hatte die New York University - die größte
Privatuni der USA - erklärt, so lange keine Coca-Cola mehr zu verkaufen,
bis das Soft-Drink-Unternehmen sich bereit erklärt, den gravierenden
Anschuldigungen nachzugehen. Auch auf dem Campus der Rutgers University
in New Jersey und der Santa Clara University in Kalifornien sowie
an Hochschulen in Kanada, Großbritannien, Irland und Italien bleiben
neuerdings die Coke-Zapfhähne trocken.
Erstmals seit den Studentenunruhen der frühen siebziger Jahre haben
sich Protestgruppen an Universitäten aus allen Teilen der USA zu einem
solch durchschlagenden Boykott zusammengefunden. Sie bezichtigen den
Getränkekonzern, für Pestizidverseuchungen und sinkende Grundwasserspiegel
in mehreren Regionen Indiens verantwortlich zu sein, sowie für extreme
Trockenheit und Not der dortigen Dorfbevölkerung. Außerdem behaupten
sie, Coca-Cola sei an der Ermordung von sieben Gewerkschaftsführern
in Kolumbien beteiligt gewesen und habe Dumping-Löhne in Abfüllanlagen
eingeführt. "Murder - It's the real thing" lautet der bissige Slogan
ihrer Kampagne gegen "Killer-Coke", in Anlehnung an die Werbung für
die braune Brause. Die Protest-Aktivisten berufen sich auf Berichte
verschiedener Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, darunter
"Corporate Accountability International", das India Resource Center",
die Wohlfahrtsorganisation "ActionAid" und Greenpeace.
Der Konzern hat ein Imageproblem
Eine Sprecherin von Coca-Cola bezeichnete die Vorwürfe der Studenten
als falsch. "Die Anschuldigungen gegen unsere kolumbianischen Betriebe
in Hinblick auf Arbeiterrechte sind nicht wahr", sagte Kari Bjorhus
zu SPIEGEL ONLINE. "Der Abfüller war nicht daran beteiligt, die Löhne
der Arbeiter illegalerweise und systematisch zu senken." Auch die
Vorwürfe zur Umweltverschmutzung in Indien wies das Unternehmen zurück.
"Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass unsere Produktion
Umweltschäden verursacht hat", erklärte Bjorhus.
Auf die Boykott-Ankündigung der University of Michigan reagierte Coca-Cola
trotz aller Unschuldsbeteuerungen mit Besorgnis. "Die Entscheidung
ist sehr bedauerlich. Der eigentliche Umsatzverlust ist gering, das
größere Problem ist unser Ansehen", erklärte Bjorhus letzte Woche
in einer Stellungnahme.
Das sind wahre Worte: Selbst wenn Hunderttausende von Konsumenten
Coca-Cola, Cola Light, Sprite, Dasani-Wasser und andere Getränke der
Firma meiden, halten sich die kommerziellen Einbußen des Getränkegiganten
in Grenzen. Der Imageschaden jedoch ist irreparabel.
Coca-Cola ist der bekannteste Markenartikel der Welt. Der geschwungene
weiße Schriftzug auf knallrotem Grund steht nicht nur für das international
beliebteste Erfrischungsgetränk. Coca-Cola symbolisiert ein unbeschwertes
Lebensgefühl, die Überlegenheit der westlichen Konsumkultur, Freiheit,
Genuss und Jugendlichkeit. Mehr noch: Coca-Cola symbolisiert Amerika.
Und wenn die Jugend Amerikas sich gegen ihren eigenen Lieblingstrunk,
gegen das klassischste aller US-Produkte wendet, dann schrillen in
der Konzernzentrale in Atlanta zu Recht die Alarmglocken.
"Welt von Coca-Cola ist eine Welt voller Lügen"
Dabei sind die harten Vorwürfe gegen den Global Player schon seit
längerem bekannt. So reichte eine Studentengruppe der University of
Michigan bereits im November 2004 eine offizielle Beschwerde bei der
Univerwaltung ein und verlangte, dass die Hochschule ihren 1,4 Millionen
Dollar schweren Vertrag mit Coca-Cola auflösen müsse.
Der Watchdog-Organisation "Corporate Accountability International"
zufolge wurden zwischen 1989 und 2002 sieben führende Mitglieder der
kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal im Zuge von Protestaktionen
gegen Coca-Cola-Abfüllanlagen in Carepa, Bucaramanga und anderen Orten
Kolumbiens umgebracht - von Todesschwadronen der rechten Paramilitärs.
Das Unternehmen habe die übrigen Gewerkschaftsmitglieder zum Austritt
gezwungen, anschließend ihre Monatsgehälter von 380 Dollar auf 130
Dollar gekürzt, den Kündigungsschutz aufgehoben und ihre Krankenversicherungen
gestrichen, sagt Ray Rogers, Direktor der Arbeiterrechtsorganisation
"Campain to Stop Killer Coke".
Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE verurteilt der New Yorker Menschenrechtler
den Konzern aufs Schärfste und behauptet, dass Coca-Cola indirekt
als Auftraggeber in die Morde in Kolumbien verwickelt sei. Er verlangt,
dass die Familien der Opfer eine Kompensation von Coca-Cola erhalten
und dass das Unternehmen die Rechte der Arbeiter künftig respektieren
müsse. "Die Welt von Coca-Cola ist eine Welt voller Lügen, Betrug,
Korruption und weit verbreiteter Menschenrechts- und Umweltschutzverletzungen",
erklärt Rogers.
Zum Vorwurf der Verstrickung in Morde an Gewerkschaftern äußert sich
der Konzern auch auf Anfrage nicht im Detail. Sprecherin Bjorhus betont
aber, zwei Ermittlungsverfahren in Kolumbien hätten keine Hinweise
auf eine "Mitschuld des Abfüller-Managements an Gewalt gegen Gewerkschaftsführer"
ergeben. Es gebe auch keine Einschüchterungen von Gewerkschaftsmitgliedern;
im Gegenteil biete die kolumbianische Partnerfirma ihnen im Falle
von Drohungen sogar routinemäßig Sicherheitsmaßnahmen an. Im übrigen
habe Coca-Cola eine lange Geschichte des Schutzes von Arbeitnehmerrechten.
Die Firma bekennt sich nicht schuldig
Ray Rogers dagegen behauptet, das Unternehmen beute im Namen des Profits
Arbeiter aus und zerstöre ihre Lebensgrundlagen - wie etwa durch Umweltverschmutzungen
in Indien. Dabei stützt er sich unter anderem auf das globalisierungskritische
"India Resource Center" und auf Berichte internationaler Medien, darunter
die britische Zeitung "Guardian" und die BBC. Ein seit vielen Monaten
andauernde Massenprotest in Indien zeigt, wie essentiell sich die
Menschen von Coca-Cola bedroht fühlen. Seit März 2004 haben Dorfbewohner
eine Fabrik im südindischen Plachimada stillgelegt. Im nordindischen
Staat Rajastan kam es nach Demonstrationen zu Ausschreitungen und
Festnahmen rund um die örtliche Coca-Cola-Produktionsstätte in Kala
Dera.
Nach Angaben des "India Resource Center" bedroht der rapide sinkende
Wasserspiegel über 50 Dörfer in der Umgebung von Kala Dera. Die Bauern
klagen, dass der Getränkekonzern sie ihrer natürlichen Wasserressourcen
beraubt, das noch vorhandene Grundwasser verschmutzt und den Boden
mit Pestiziden verseucht habe. "India Resource" beschuldigt den Konzern
außerdem, in Indien durch Pestizide belastete Getränke zu verkaufen.
Und bereits im Juli 2003 berichtete die britische BBC, Coca-Cola habe
Bauern mit Abfallprodukten aus einer Abfüllanlage als Düngemittel
beliefert, die giftige Chemikalien wie Cadmium und Blei enthalten
hätten.
"Coca-Cola in Indien ist das perfekte Beispiel dafür, was schiefgeht,
wenn Institutionen wie die Welthandelsorganisation den Unternehmen
immer mehr Zugeständnisse machen", erklärt Amit Srivastava vom "India
Resource Center". "Es ist wichtig, dass wir Coca-Cola zur Rechenschaft
ziehen, damit ihnen bewusst wird, dass die Rechte der Menschen und
der Umweltschutz unveräußerlich sind."
Coca-Cola indes streitet jede Verantwortung für Umweltschäden in Indien
ab. "Unsere Abläufe halten die weltweiten Umweltstandards des Unternehmens
ein und entsprechen allen gesetzlich festgelegten Anforderungen der
lokalen Behörden", so Sprecherin Kari Bjorhus. Beispielsweise habe
das Werk in Kala Dera Regenwasser-Auffanganlagen installiert und liefere
damit dreimal so viel Wasser, wie der Betrieb verbrauche.
Wenn man den amerikanischen Studenten glauben kann, ist der Cola-Boykott
auf dem Campus erst der Beginn einer rapide anschwellenden Protestbewegung
gegen den Getränkekonzern. "Unsere Kampagne ist noch längst nicht
vorbei", erklärt Clara Hardie, eine der Hauptorganisatorinnen des
Boykotts an der University of Michigan. "Wir werden weiter kämpfen
und dafür sorgen, dass sich unsere Universität auch in Zukunft in
die richtige Richtung bewegt." Die Boykottwelle hat auch die ersten
Unis in Europa bereits erfasst: Globalisierung von unten eben.
FAIR USE NOTICE. This document contains copyrighted material whose use has not been specifically authorized by the copyright owner. India Resource Center is making this article available in our efforts to advance the understanding of corporate accountability, human rights, labor rights, social and environmental justice issues. We believe that this constitutes a 'fair use' of the copyrighted material as provided for in section 107 of the U.S. Copyright Law. If you wish to use this copyrighted material for purposes of your own that go beyond 'fair use,' you must obtain permission from the copyright owner.
|